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Sprengel Museum

Kurt Schwitters Platz
30169 Hannover
Tel. 0511 - 168 438 75; Fax 0511 - 168 450 93
Di 10 - 20 Uhr, Mi bis So 10 - 18 Uhr, Mo geschlossen www.sprengel-museum.de
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15.05. - 15.09. 2013

Purer Zufall

Unvorhersehbares von Marcel Duchamp bis Gerhard Richter

Welche Rolle spielt der Zufall in der Kunst? Wann wird der Zufall als willkommener ,Gehilfe' genutzt, der für Künstlerin bzw. Künstler Entscheidungen in der Komposition und in den Bilddetails trifft, der konstruiert, zerstört und transformiert? Die Einbeziehung des Zufalls in den Prozess der Werkentstehung ist ein wiederkehrendes Konzept der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. In der Ausstellung "Purer Zufall. Unvorhersehbares von Marcel Duchamp bis Gerhard Richter" wird den vielfältigen Strategien von Künstlerinnen und Künstlern nachgegangen, die in besonderem Maße mit dem Zufall operiert haben. Das Unvorhersehbare und Unplanbare wird zur zweiten schöpferischen Instanz, wenn in einer bestimmten Phase des Werkprozesses die Kontrolle über den weiteren Fortgang abgegeben und damit die konventionelle Vorstellung von der Rolle der Künstlerin/des Künstlers hinterfragt wird. Das unwiederholbare Ergebnis des Zufalls durch den bewussten Rückzug ist stets eine Überraschung. Von dieser temporären und bewussten Übereignung der Autorschaft an den Zufall zeugen die rund 70 ausgewählten Exponate aus ganz unterschiedlichen Bereichen künstlerischen Schaffens, u. a. Malerei, Plastik und Grafik. Die Ausstellung schöpft aus dem reichen Bestand des Sprengel Museum Hannover und wird durch Leihgaben ergänzt. Anhand der ausgestellten Werke zeigen sich die vielfältigen Strategien der Zufallsverwendung von Künstlerinnen und Künstlern wie zum Beispiel Marcel Duchamp, Kurt Schwitters, Hans Arp, Max Ernst, Jackson Pollock, Niki de Saint Phalle, Jean Tinguely, Daniel Spoerri, Dieter Roth, John Cage und Gerhard Richter.

Von Duchamp bis Richter: Ausstellungskapitel Die Ausstellung widmet sich dem Thema unter verschiedenen Perspektiven. Den Anfang macht die Entdeckung des Zufalls durch die künstlerische Avantgarde der 1910er- und 1920er-Jahre. Im Weiteren geht es um den Einsatz von Methoden und Instrumenten in der Malerei, die das Unvorhersehbare als neues Element einführen. Ein dritter Schwerpunkt liegt auf Zufallsgeneratoren, mit denen eine individuelle künstlerische Handschrift ausgeschlossen wird. Nicht zuletzt wird der zeitliche Aspekt des Zufalls in Werken thematisiert. Diese Kapitel werden im Weiteren umrissen. Den Werken des ersten Raums, der einer Aneignung des Zufallsprinzips durch die künstlerische Avantgarde in der Umbruchszeit um den Ersten Weltkrieg gewidmet ist, ging ein besonderer Blick ihrer Künstler voran: der Blick auf den Boden, anstatt auf die Leinwand. Das Fallengelassene, Umgestürzte und Gefundene fand Eingang in den Kunstkontext. Dies steht zugleich für einen Perspektivwechsel in der Produktionsästhetik. Es ist heute 100 Jahre her, dass Marcel Duchamp als Gründungsvater der Zufallsästhetik des 20. Jahrhunderts das Werk "Die drei Musterfäden" von 1913 erdachte. Dafür ließ er drei ein Meter lange Fäden aus ein Meter Höhe zu Boden fallen, um anschließend die Kurvenverläufe zu fixieren. Hans Arp arbeitete mit der Kompositionsmethode des Fallenlassens, indem er zerrissene Papierfetzen auf einem Bildträger fixierte: Schwerkraft und Luftwiderstand "nach den Gesetzen des Zufalls" führten zu einer ungeplanten Anordnung. Tatsächliche Zufallsfunde und -entdeckungen machte Kurt Schwitters in den Straßen und Kellern Hannovers: Seine sogenannten "i-Zeichnungen" sind Zufallsprodukte aus Fehldrucken von Druckereien, für die Schwitters lediglich den Ausschnitt bestimmte, bevor er sie zur Kunst erklärte. Von der Straße aufgehobene Fragmente des urbanen Raums und der industriellen Lebenswirklichkeit integrierte er in seine Collagen. In einem weiteren Raum sind Werke zusammengeführt, in denen Farbe als Material verwendet wird, das aufgrund seiner physikalischen Beschafenheit zu zufälligen Farbstrukturen und -verteilungen führen kann. Der klassische Pinsel wird durch alternative Formen des Farbauftrags ersetzt.

So griff Jackson Pollock für seine Drippings auf durchlöcherte Konservendosen zurück und konnte den genauen Aufprall der Farbe auf den Bildträger nur bedingt steuern. Niki de Saint Phalle nutzte ein Luftgewehr, um in ihren Schießbildern eindrucksvolle Farbexplosionen hervorzurufen. Das Ziel der Kugeln, das Aufplatzen der Gipsoberfläche durch den Schuss und das Auslaufen der Farbe aus Beuteln, die die Künstlerin unter dem Gips platziert hatte, waren nicht vorhersehbar. Die Zufallsstrukturen der Décalcomanien von Max Ernst korrespondieren mit den übermalten Fotografien von Gerhard Richter. Sowohl in Ernsts Grattagen als auch in Richters abstrakten Bildern finden sich Übermalungen und werden überraschend Farbschichten freigelegt. Während Max Ernst in seinem Schaffen den Zufall als Inspirationsquelle nutzte, sind "Willkür, Zufall, Einfall und Zerstörung" für Richter ein Mittel, um etwas "Interessanteres" zu erhalten als das, was erdacht werden kann. Ein anderes Kapitel schlagen Werke auf, für die Künstler die Idee des Zufallsgenerators in ihrem Schaffen aufgegriffen haben. Ihr Ziel war es, zu einer hierarchielosen Bildstruktur jenseits von subjektiven Kategorien wie Inspiration und individueller Handschrift zu gelangen. Insbesondere ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden vielfältige Methoden entwickelt, um Zufallsdaten für die Kunst zu erzeugen, darunter Losverfahren und computergestützte Systeme. John Cage erhob den Zufall zum werkkonstruierenden Prinzip. Um sich als Künstler bewusst zurückzunehmen, erfand er komplizierte Verfahren, auf deren Grundlage er mithilfe des I Gings, des chinesischen Münzorakels, nicht nur seine musikalischen, sondern auch seine bildkünstlerischen Kompositionen generierte. Für seine zufälligen Farbtonanordnungen loste Gerhard Richter zunächst jeden einzelnen Ton aus, bevor er aus Zeitgründen wie Cage dazu überging, die Daten von einem Computer erzeugen zu lassen. Andere Beispiele für Zufallsgeneratoren finden sich in der frühen Computergrafik seit Mitte 1960er-Jahre. Hier sind Algorhythmen zugunsten einer Objektivierung und eines überraschenden Ergebnisses eingesetzt worden. Die Künstler gaben ihre Autonomie auf und den künstlerischen Schaffensprozess an die Apparatur ab. Eine weitere Perspektive eröffnet die Gegenüberstellung zweier Positionen mit Werken von Dieter Roth und Daniel Spoerri. Beide haben organische Materialien in ihre Arbeit eingeführt, im Fall von Dieter Roth beispielsweise Gewürze, Joghurt oder Käse. Die Zeit wirkt am Entstehen der Werke mit. Dem kontinuierlichen Verfall überlassen, entwickeln sich überraschende Formen, Farben und Strukturen. So ließ er für seine "Große Landschaft" (1969) Käse auf Dachpappe in einer durchsichtigen Plastiktasche verschimmeln. Andere Arbeiten von Roth unterliegen Veränderungen, da sie vom Betrachter mitgestaltet werden können. Daniel Spoerri, der sich selbst als "Handlanger des Zufalls" bezeichnet hat, konserviert in seinen "Fallenbildern" Zufallskompositionen, die sich aus Handlungen und Situationen ergeben, an denen andere Personen beteiligt sind. Der Zufall agiert in den vom Künstler gesteckten Grenzen und übernimmt seine kompositionelle Arbeit, bis dieser beschließt, ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt zu fixieren.

Es erscheint ein Katalog zum Preis vom 10 Euro. Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Rahmenprogramm.

 

14.08. - 24.11. 2013

Wilhelm Schürmann

BILDER AUS DEUTSCHLAND Vielleicht kann man sich die BRD in der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre so vorstellen: Am westli-chen Rand, in etwa dort, wo Wilhelm Schürmann fotografiert, erlebt die Idee von Europa (der zollfreie Verkehr war im Bereich der Stahl- und Bergbauindustrie hier bereits 1951/52 mit der Gründung der Montanunion eingeführt worden) nach dem Ende des Wirtschaftswunders eine ihrer frühen Krisen. Am östlichen Rand der Republik suchen Bruno Winter und Robert Lander - die Protagonisten des Wim-Wenders-Films Im Lauf der Zeit (1976/77) - entlang der innerdeutschen Grenze von Kino zu Kino vagabundierend nach einem Weg in die Gegenwart und rekapitulieren die amerikanische Kolo-nialisierung ihres Unterbewusstseins. In der Mitte pulsiert bleischwer der deutsche Herbst. Die Fotografie liegt nun in den Händen einer Generation, die wie Winter und Lander um eine Befrei-ung von der jüngeren deutschen Geschichte, um einen Neuanfang ringt. Sie ist durch das Kino der Nouvelle Vague ebenso gegangen wie durch die Auseinandersetzungen mit den medien- und kultur-kritischen Aspekten der Konzeptkunst. Ihre fotografischen Helden heißen Eugène Atget, Diane Arbus, Dorothea Lange, Walker Evans, August Sander oder Albert Renger-Patzsch. Sei es in der Spectrum Photogalerie (1972-1991), in der Galerie Lichttropfen (Schürmann & Kicken, Aachen, 1974-1979), in der Galerie Wilde (1972-1985) oder auf der documenta 6 (1977) - die Fotografie definiert sich vor allem in Referenz auf die über die USA vermittelten poetischen Alltagssystematiker der ersten Jahr-zehnte des 20. Jahrhunderts. Am konsequentesten unterrichtet dies - noch sind die Folgen nicht ab-sehbar - Bernd Becher, unterstützt von Hilla Becher, ab 1976 an der Kunstakademie Düsseldorf. Im gleichen Jahr eröffnet Michael Schmidt an der VHS Kreuzberg eine Werkstatt für Fotografie mit Brü-ckenfunktion in die USA. Er veröffentlicht zwei Jahre später die Publikation Berlin-Wedding (Berlin 1978). Kurz darauf publiziert Heinrich Riebesehl Agrarlandschaften (Bremen 1979), auch Wilhelm Schürmann legt eine fotografische Monografie vor (Wilhelm Schürmann, Fotografien, Köln 1979). Es sind die ersten ,Autoren'-Publikationen der deutschen Nachkriegsfotografie. Schürmann ist in diesen Jahren, nicht zuletzt als Mitkurator der Ausstellung In Deutschland. Aspekte zeitgenössischer Dokumentarfotografie im Rheinischen Landesmuseum Bonn (1979, gemeinsam mit Klaus Honnef) eine der zentralen Persönlichkeiten dieser Entwicklungen. Doch ist er, in gewisser Weise, auch ein Abweichler: In stets streng gebauten bühnenartigen Bildern fotografiert Schürmann in seiner nahen Umgebung, in den Städten und an ihren Rändern, was ist. Zwar ordnet sich das Werk nach thematischen Bezügen und sind diese, wie der kürzlich erschienene Band Wegweiser zum Glück, Bilder einer Straße 1979-1981 (Köln 2012) erneut zeigt, häufig äußerst komplex durchgearbeitet. Doch ist jedes Bild eher ein Einzelbild als ein Teil einer seriellen Ordnung: Jede Situation verlangt nach einer nur ihr gemäßen, präzise erarbeiteten Komposition. Die sinnlich-intellektuelle Lust an den subtilen Codes und Botschaften der Objektkonstellationen setzt den seriellen und systematisierenden Methodiken Grenzen. In der in dieser Ausstellung vorgestellten Bildauswahl zeigt sich Deutschland als eine kühle Gegend zwischen Krise und Krise, als ein ständiges Provisorium gewebt aus Reihenhaussiedlungen, Gewerbe-bauten, modernistischen Einsprengseln, Hinterhöfen, Garagen, Kirchtürmen, Stromleitungen, Autotrassen und Bahnhofssituationen. Doch beinhalten diese Provisorien hier eben immer auch einen subtilen Rest anarchischen Potentials: Sie sind potentielle Andockstellen und Optionen auf Zukünfti-ges. Wilhelm Schürmann, 1946 in Dortmund geboren, fotografiert seit er 16 ist. Er studiert Chemie, grün-det mit Rudolf Kicken die Galerie Lichttropfen, verlässt diese 1977, unterrichtet von 1981 bis 2010 Freie Fotografie an der Fachhochschule Aachen. 1982 legt eine erste Begegnung mit Martin Kippen-berger den Grundstein für die Sammeltätigkeit von Gaby und Wilhelm Schürmann: Objektkonstellati-onen bleiben seine Leidenschaft. Als Fotograf ist Wilhelm Schürmann immer wieder neu zu entde-cken.

Eröffnung der Ausstellung Dienstag, 13.08. 2013, um 18.30 Uhr Es begrüßt Prof. Dr. Ulrich Krempel, Direktor Sprengel Museum Hannover Es sprechen Dr. Sabine Schormann, Stiftungsdirektorin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, und Inka Schube, Kuratorin. Im Anschluss findet ein Künstlergespräch mit Wilhelm Schürmann statt. Eintritt frei

Ein Projekt in Zusammenarbeit mit der Niedersächsischen Sparkassenstiftung

 

Parallel zur Ausstellung Wilhelm Schürmanns zeigen wir in der Blue Box: Im Lauf der Zeit Regie, Drehbuch, Produktion: Wim Wenders 1976, 168 Minuten, Schwarzweiß, 1: 1,66 Musik: Axel Linstädt, Kamera: Robby Müller, Schnitt: Peter Przygodda Darsteller: Rüdiger Vogler, Hanns Zischler, Lisa Kreuzer, Rudolf Schündler, Hans Dieter Trayer, Marquard Bohm, Franziska Stömmer

 

 

 

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