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Museum für Moderne Kunst

Domstraße 10
60311 Frankfurt am Main
Tel. 069 - 212 30 447; Fax 069 - 212 378 82
Di - So 10 - 17 Uhr, Mittwoch 10 - 20 Uhr, Montag geschlossen
mmk@stadt-frankfurt.de
http://www.mmk-frankfurt.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

28.09.2001 - 03.03.2002


Szenenwechsel XX


Vija Celmins
"Night Sky # 15", fertiggestellt 2001
Marlene Dumas Neuerwerbung und Arbeiten auf Papier
Michael Dreher
"Woodstock", "Freie Republik Wendland" und Zeichnungen
Thomas Erdelmeier
Architekturmodelle und Zeichnungen
Udo Koch
Neue großformatige Zeichnungen, 2000/01
Sandra Mann
"Expedit" und "Exodus", 2000/01
Katharina Fritsch
"Herz mit Geld", Bodenskulptur, 1998/2000
Gabi Hamm
Neue Werkgruppe
Jochem Hendricks
"Gehirn des Künstlers", Skulptur, 1998 und Zeichenzyklus
Caro Suerkemper
Neue Werkgruppe
Matthias Weischer
Malerei, 2001
Anton Henning
"Badende im Gegenlicht", 2000
Nicole Wermers
Raummodelle, 1996-2000
Florian Slotawa
Hotelzimmer, Fotografien, 1998/99
Stefan Exler
"Keller", Farbfotografie, 2001
Anja Niedringhaus
Reportagefotografien,1993-2001
Peter Fischli/David Weiss
"Plötzlich diese Übersicht", Tonskulpturen, 1981/82
Joseph Beuys
Frühe Zeichnungen
John Chamberlain
"Funburn", 1966
David Hockney
Radierungen zu Konstantinos Kavafis, 1966
Stephan Balkenhol
Skulpturen aus der Sammlung Horst und Vivien Schmitter und Außenskulptur
Werkdialog Alighiero Boetti, Richard Long und Sol LeWitt
Sonderausstellung Jeff Wall
"Figures Et Places"

Dieser, der XX. Szenenwechsel, ist der letzte in meiner Funktion als Leiter des MMK. Wir danken der DZ BANK, die uns diesen Szenenwechsel ermöglicht hat. All die Besucher unseres Museums von fern und nah wissen diese Förderung nicht weniger zu schätzen. Was ist ein Szenenwechsel? Letzlich beinhaltet er drei Bewegungsmomente; Besucher in Bewegung halten; die Kunstwerke bewegen; uns selbst, die wir tagtäglich mit Werken und Besuchern konfrontiert sind, in Bewegung halten. Wenn alles in Bewegung ist, braucht es eine Konstante: Über zehn Jahre sind wir ein und dasselbe Team und wir haben über all die Jahre den Szenenwechsel und der Sammlung ein Profil verliehen, das uns zu weltweiter Anerkennung verholfen hat. Wir werden in diesem Jahr eine Publikation herausbringen, welche die 10 Jahre des Bestehens des MMK ausführlich dokumentiert. Der Verleger dieser Dokumentation ist der DuMont Schauberg Verlag in Köln. Man muß sich vergegenwärtigen, daß wir trotz mißlichster finanzieller Bedingungen von kommunaler Seite her wunderbare und großartige Werke in das kollektive Gedächtnis, das Museum, einbringen konnten. Dies ist gelungen dank vieler Menschen, die unser Anliegen, unsere Leidenschaft und Liebe zur Kunst aktiv, d.h. persönlich unterstützt haben. "Werke bewegen" heißt, ihrer Neugier nach Bekanntschaften mit anderen Werken gerecht zu werden. Wir haben dies stets als Dialogsituation bezeichnet.

Vija Celmins (*1938), deren Schaffen wir 1997 hier in unserem Museum retrospektiv gezeigt haben, hat ein Bild für uns gemalt. Wir haben vier Jahre darauf gewartet, weil sie in vier Jahren nur fünf Bilder gemalt hat. Ein atemberaubendes Firmament, das wir mit einem "kosmischen" Bild von Yves Klein (1928 -1962) zeigen: Das unverkennbare Blaupigment seiner Bilder von 1959/60 ist stets Ausdruck kosmischer Unendlichkeit. Der dritte im Bund ist On Kawara (1932), denn das Datumsbild ist nicht weniger ein Schlüssel zum kosmischen Verständnis des Hier und Jetzt. Das Datum ist eine Formel für Harmonie, für Ordnung und Unordnung, für Zufall und Gesetzmäßigkeit.

Dank einer großzügigen Unterstützung des niederländischen Knecht-Drenth Fonds/Prins Bernhard Cultuurfonds in Amsterdam, war es möglich, ein langersehntes Gemälde von Marlene Dumas (1953) zu erwerben. Das hochformatige Bild "The Guard" (230 x 60 cm) von 2001, eine weibliche Wächterin, wird die umfangreiche Gruppe von Wasserfarbenblättern der Künstlerin aus unserer Sammlung wie eine Raubtierdomteuse bändigen.

Die Meinung, gute Künstler seien stets nur am fernen Horizont auszumachen, wird durch die Präsenz einer ganzen Anzahl von Künstlern aus Frankfurt widerlegt. Wir zeigen neue Werke von Michael Dreher, Thomas Erdelmeier, Udo Koch, Sandra Mann, Gabi Hamm und Jochem Hendricks.

Michael Dreher (*1962) ist ein Gratwanderer. Er malt souveräne Aquarelle in Schwarzweiß (Tusche), die jeweils einen Moment gesellschaftspolitischer Katharsis quasi über die Hintertür einfließend zum Ausdruck bringen. Oder er baut ein Stadtmodell aus blauen, stark riechenden Klosteinen, die das kritische Moment zwischen obsessiver Sauberkeit und dramatischer Verschmutzung mit den jeweiligen entsprechenden Konsequenzen festhalten.

Auch Thomas Erdelmeier (1965) baut Modelle. Es sind Architekturmodelle, wie ein Fußballstadion aus Pappe als Ort der kollektiven Hysterie. Andere Modelle drücken wohlmeinend verordnete Verha tensmuster aus, die schließlich im Paradox münden. Andere visualisieren emotionale Ebenen, deren Rhythmus und Sinnlichkeit sich widersprüchlich ineinander schieben.

Udo Koch (* 1958), bestens in unserer Sammlung vertreten, zeigt großformatige Zeichnungen - "Blaupausen"für künftige Skulpturen, die letztlich das schier nicht Denkbare systematisch und methodisch ergründen. Für mich erforscht er schon lange die "Grenzen des Universums" und gelangte dabei unbewußt in Benoit Mandelbrots "Fraktale".

Sandra Mann (* 1970) hat ein Werk geschaffen, das den Nagel auf den Kopf trifft. 2000 Langspielplatten, dicht aneinandergereiht, in einem Ikea-Regal von 4 x 4 Fächern, das in eine Wand eingebaut ist. Viele der Schallplatten haben einen Rücken, auf dem der "Leading Song" verzeichnet ist. Die Titel dieser Songs handeln immer von der LIEBE. Sandra Mann hat recht: Die Liebe ist der größte Katalysator weltweit, der Menschen eint und trennt. Wir reden ständig von Globalisierung, Liebe ist global!

In Verbindung mit "Expedit" von Sandra Mann zeigen wir die monumentale Bodenskulptur "Herz mit Geld" von Katharina Fritsch (*1956) aus dem Jahr 1998/2000. Mit einem Durchmesser von ca. 12 Metern thematisiert das Herz eine andere Form von Liebe, eine silbrig schimmernde Verheißung. Katharina Fritschs Skulptur hat die Schärfe eines Rasiermessers: einerseits ein märchenhafter Schatz, anderseits ein eiskaltes Herz.

Gabi Hamm (* 1956), von der wir schon einen beachtlichen Werkkomplex besitzen, hat neue, wiederum kleinformatige Bilder gemalt. Sie erforscht den Resonanzraum der menschlichen "Seele" mit einer Hingabe, die all ihre Zweifel und Befragungen malerisch erleuchten.

Von Jocherm Hendricks (1959) zeigen wir die Skulptur "Gehirn des Künstlers" von 1998 zusammen mit einer Gruppe von "Augenzeichnungen« von 1992. Beide Werke sind eng miteinander verknüpft, sie bedingen einander. Der Künstler/Forscher untersucht wie Bewußtseinsbildung entsteht, wie ganz generell Welt in unseren Köpfen wahrgenommen wird. Wiedereinmal gilt unser Dank dem "Frankfurter Verein für Künstlerhilfe e.V. Frankfurt am Main", der uns diese Werke als Dauerleihgabe zur Verfügung stellen wird.

Caro Suerkemper (*1964) wohnt in Berlin. Was ihr im Aquarell, vergleichbar mit Michael Dreher, an Einsichten in die menschliche Psyche gelingt, ist schon außergewöhnlich und einzigartig. Da entstehen, oft im Kleinstformat, Werke, die im wahrsten Sinne Sprengkraft besitzen.

Matthias Weischer (1973) studierte in Leipzig. Er ist Maler. Er zeigt uns was Malerei will, muß und soll. Er arbeitet wie Anton Henning (*1964) an einer Umcodierung unserer medialisierten Wahrnehmung. Beide unterwandern diese intelligent und lustvoll mit den Mitteln der Malerei. Und das beweisen einmal mehr die neuen souveränen Bilder von Anton Henning.

Nicole Wermers (*1971), Florian Siotawa (*1972) und Stefan Exler (1965) bilden auch räumlich einen zusammenhängenden Komplex. "Kleiner Saal" (2000), "Verbarrikadiertes Zimmer" (1996) oder "Vacant Shop" (1999) von Nicole Wermers zeigen suggestive Raummodelle und zugleich hermetische Assoziationsräume. Im Puppenstubenformat wird "suspense" wie in einem Filmset erzeugt. Florian Slotawa verbringt jeweils eine Nacht in einem Hotelzimmer und verwandelt dieses heimlich in eine Architektur-Skulptur. Danach fotografiert er die Höhle, die nur der Künstler selbst "im Original" je gesehen hat, schläft in ihr und bevor er zum Frühstück geht, kommt alles wieder an seinen Platz: Vorhänge, Bilder, Türen, Schränke, Tische, Wandverkleidungen. Stefan Exlers neue, großformatige Farbfotografie "Keller" arbeitet mit der selben räumlichen Perspektive wie Nicole Wermers in ihren Modellen. In strenger Aufsicht blicken wir in die inszenierte Abwesenheit eines Kellerraumes, dessen Leere bis ins kleinste Detail konstruiert ist.

Ich möchte jetzt auf Anja Niedringhaus (1965) zu sprechen kommen. Sie ist Cheffotografin der "european pressphoto agency" in Frankfurt, wohnt in der Nähe von Kassel und hat die meiste Zeit ihrer jungen Jahre (ab 1993) in den Krisengebieten des Balkans verbracht. Sie ist eine Fotojournalistin "Alter Schule", ganz in der Tradition von Barbara Klemm, Abisag Tüllmann, Paul Almasy und Sebastiao Salgado. Sie hat Außergewöhnliches geleistet, hat mit ihren Fotos, die auch von einer Publikation begleitet werden, Geschichte geschrieben.

Seit 10 Jahren ist der Raum mit den "Date Paintings" von On Kawara unverändert. Stets haben wir versucht, in diesem Raum korrespondierende Werke zu plazieren. Es ist ein außergewöhnlicher Glücksfall, daß wir mehr als 40 der fragilen Arbeiten aus der großen Installation "Plötzlich diese Übersicht" von Peter Fischli (1952) und David Weiss (* 1946) hier zeigen können. Die meisten von uns kennen die Tonplastiken nur vom Hörensagen und von Fotos, wie sie 1981/82 anläßlich der legendären Erstpräsentation in der Galerie Pablo Stähli entstanden. Von den ursprünglich 250 Figuren befinden sich heute rund 150 Werke in der Sammlung Hoffmann im Museum für Gegenwartskunst in Basel, dem diese gemeinsam mit den Künstlern ausgewählte Leihgabe zu verdanken ist. Jede einzelne Arbeit ist liebevoll gestaltet, viele sind durchdrungen von hintergründigern Witz und beißender Kritik, voller Geist und Ironie und Ausdruck eines tiefsinnigen Vergnügens.

Seit 10 Jahren unverändert ist auch der Raum "Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch" von Joseph Beuys. (Hinzu gekommen ist allerdings 1997 die monumentale "Sprachskulptur" von Lawrence Weiner.)

Jetzt zeigen wir eine Auswahl von frühen Zeichnungen von Joseph Beuys (1921 -1986) als Leihgabe aus der "Stiftung Museum Schloß Moyland/Sammlung van der Grinten"und einer Privatsammlung, die thematisch das raumfüllende Werkensemble von Beuys ergänzen. Dazu gehören Tierdarstellungen wie Hirsch und Ziege, aber auch Motive zu den "Hirschdenkmälern", zu kosmologischen Phänomenen wie der Blitz und sehr malerische Blätter unter der Verwendung von Silberbronze.

Etwas Beglückendes ist gelungen: Die Erwerbung eines der frühen, sehr seltenen Grafikzyklen von David Hockney (* 193 7) den »Illustrations for Fourteen Poems by K. P. Kavafis« von 1966. Die berühmten Gedichte des griechischen Dichters Konstantinos Kavafis (1863 -1933) wurden von Hockney nicht lediglich illustriert, die Radierungen schaffen vielmehr eine ganz eigene, autobiografische Welt parallel zu der des Dichters.

Zu seinem 60. Geburtstag schenkt uns Horst Schmitter eine Skulptur von Stephan Balkenhol (1957). Sie ist an der Außenfassade des Museums unterhalb des Trichterfensters zur Berlinerstraße plaziert. Ein bißchen wird diese Skulptur auch die Funktion eines Schutzpatrons haben, so wie 1987 anläßlich der Ausstellung "Skulptur-Projekte"in Münster, als eine männliche Figur in grüner Hose und weißem Hemd mit dieser Aufgabe von der Bevölkerung bedacht wurde. Eine Ausstellung von Skulpturen Balkenhols aus der Sammlung Horst Schmitter stellt den Bildhauer als wunderbaren Geschichtenerzähler vor.

Im weiteren zeigen wir aus unserer Sammlung "Die tausend längsten Flüsse der Welt" von Alighiero Boetti (1940 - 1994) in Verbindung mit der Skulptur "Somerset Willow Circle" von Richard Long (*1945), eine aus Weidenästen gebildete Kreisfläche, und einer frühen Wandzeichnung von Sol LeWitt (* 1928). So wird das poetische Prinzip von Ordnung und Unordnung, Zufall und Notwendigkeit mitjenen Künstlern vor Augen geführt, die in den 70er Jahren die konzeptuelle Schwerkraft in der Kunst am stärksten zu versinnlichen wußten. Aus dem Bestand der ehemaligen Sammlung von Karl Ströher zeigen wir erstmals eine der seltenen Schaumstoffskulpturen "Funburn" aus dem Jahr 1967 von John Chamberlain (1927). Das frisch restaurierte Stück wird im Kontext der Werkgruppe der Gemälde der 60er Jahre von Roy Lichtenstein zu sehen sein.

Das Kernstück dieses Szenenwechsels ist jedoch die Sonderausstellung "Figures Et Places" von Jeff Wall (* 1946), sie findet in fünf Räumen des MMK statt, im Alten Hauptzollamt und im Städelschen Kunstinstitut. Mit der frühen Erwerbung von "The Storyteller"(1986) und in der Folge mit "Odradek"(1994) wurde die Perspektive für die Ausstellung geschaffen, die, zusammen mit dem Künstler konzipiert, in ihrer Art einmalig ist. Aus der Reportagefotografie kennen wir den Unterschied zwischen Bild und Dokument dahingehend, daß das Bild stets das Dokument, das Dokumentjedoch nicht das Bild enthält. Jeff Wall operiert mit beiden Begriffen, indem er das Bild in ein Dokument und das Dokument in ein Bild verwandelt. Diesen dialektischen Kraftakt, der Geschichte, Erzählung, Kunstgeschichte und sozialen Alltag gleichermaßen in die Gegenwart einbindet, schafft er mit einem souveränen Gespür für das BILD. Die Bedeutung von Jeff Wall ist mit jener von Andy Warhol vergleichbar: kein Weg führt an ihnen vorbei.

Jean-Christophe Ammann

 

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