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ifa-Galerie Berlin

Linienstr. 139 / 140
10115 Berlin
Tel 030 / 22679616, Fax 22679618
fischer@ifa.de
Di - So 14 - 19 Uhr
http://www.ifa.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

15.1. - 1.3. 1998


Kunst aus Novosibirsk

Die Kosmonauten (Andrei Kurtschenko, Maxim Sonow)

Pandoktrina (Wladimir Kolbin, Roman Watolkin, Alexander Woronzow, Andrei Woronzow)

Konstantin Skotnikow (Krispinus)

Die Ausstellung Kunst aus Novosibirsk bietet einen Einblick in jüngste Entwicklungen der zeitgenössischen Kunst dieser Region und zeigt Arbeiten junger Künstler. Ihr kulturelles Umfeld ist traditionell geprägt und begegnet ihren Versuchen, sich neuen Formen der Kunst zuzuwenden, weitgehend mit Unverständnis. Zudem erschweren die äußeren Bedingungen wie mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten oder die weite Entfernung den Künstlern die Teilnahme am internationalen Kulturaustausch.

Die Ausstellung zeigt Arbeiten der Künstlergruppen "Die Kosmonauten" ( Maxim Sonow und Andrei Kurtschenko) und "Pandoktrina" ( Wladimir Kolbin, Roman Watolkin, Alexander Woronzow und Andrei Woronzow) sowie eine Installation von Konstantin Skotnikow. Die Künstler reagieren auf die Paradoxie ihres Alltags, mit scheinbar absurden Aktionen und künstlerischen Ideen. Doch sie sind - vergegenwärtigt man sich die Widersprüche, mit denen sie täglich konfrontiert werden - so absurd nicht. Sie sind Reflexionen auf gesellschaftliche Realität in einer Zeit des Umbruchs und des totalen Wandels.

 

Kurzbiografien:

Die Kosmonauten

Andrei Kurtschenko

1961 in Kysyl geboren

Studium an der Novosibirsker Kunstfachschule, Industriegrafik

Bühnenbildner am Theater "Die rote Fackel" in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Die Kosmonauten

Maxim Sonow

1966 in Irkutsk geboren

Studium an der Akademie der Architektur und der Künste in Novosibirsk

1988 - 1989 Architekt in Wladimir

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Konstantin Sktonoikow

(Krispinus)

1958 in Altaj geboren

Studium der Architektur an der Hochschule für Ingeneur- und Bauwesen in Novosibirsk

Studium der Malerei und Skulptur an der Akademie der Architektur und der Künste in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Pandoktrina

Wladimir Kolbin

1973 in Novosibirsk geboren

Studium der Monumentalmalerei an der Akademie der Architektur und der Künste in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Pandoktrina

Roman Watolkin

1977 in Novosibirsk geboren

seit 1994 Studium der Monumentalmalerei an der Akademie der Architektur und der Künste in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Pandoktrina

Alexander Woronzow

1971 in Novosibirsk geboren

Studium für künstlerisches und technisches Zeichnen an der Staatlichen Pädagogischen Hochschule in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

Pandoktrina

Andrei Woronzow

1962 in Novosibirsk geboren

Studium für künstlerisches und technisches Zeichnen an der Staatlichen Pädagogischen Hochschule in Novosibirsk

lebt und arbeitet in Novosibirsk

 

 

Ausstellungskatalog
Kunst aus Novosibirsk
Installationen
Mit Texten von Ljudmila Ivashina, Barbara Barsch und Statements der Künstler
44 Seiten
mit 52 Farbabbildungen
Preis: 18,- DM zzgl. Potro

 


Aus dem Katalogtext:

Barbara Barsch
Hinter den rauhen Bergen
Zu einigen Aspekten der Kunst aus Novosibirsk

Von klein auf hat man gelernt, daß ein Kosmonaut ein Mensch ist, der verzwickt gekleidet, lange auf etlichen Trainingsgeräten gedrillt, mit Kenntnissen abgefüllt und aus Tuben gefüttert wird, um dann anschlieþend für kurze Zeit seines Gewichtes beraubt zu werden. Der Mensch im Weltraumanzug wurde zum Symbol menschlicher Enge. Die Kosmonauten ließen Spott über sich ergehen, um - wenn auch nur für kurze Augenblicke - mit dem Raum allein zu bleiben, um zu lernen, noch weiter, noch besser zu werden. Völlig von Sinnen aus dem Orbit zurückgekehrt, gerieten sie wieder in ihr Körpergewicht - gerieten in die Hände der Liebhaber der Schwerelosigkeit. Stadtbewohner trugen die Kosmonauten durch ihre, wie ihnen schien, schönen Straßen und schleuderten sie auf den Plätzen in die Höhe. Hochgeworfen hatten die Kosmonauten Mühe, nach unten zu fallen, sie versuchten zu erklären, was sich ihnen dort oben eröffnet hatte. Keiner hörte zu. Was hatten sie schon Neues zu berichten?
Maxim Sonow

 

Die kleine Geschichte von Maxim Sonow, einem Mitglied der Künstlergruppe "Die Kosmonauten", ist eine Einstimmung auf das spannungsvolle Beziehungsgeflecht, in dem die Künstler aus Novosibirsk leben und arbeiten. Der aus der Weite Heimkehrende wird bejubelt, aber seine Erfahrungen werden nicht gebraucht. Man hört ihm nicht zu, weil alles bereits gewußt ist. Dieses provinzielle Denken spießen die "Kosmonauten", zu denen neben Maxim Sonow, Andrei Kurtschenko und Alexei Leschtschenko gehören, in ihrer künstlerischen Arbeit auf, wobei es durchaus in ihrer Absicht liegt, Botschaften zu verkünden, Spuren zu hinterlassen nicht zu sichern. Spurensicherung, Nachhaken in der Vergangenheit ist nicht ihre Sache. Sie wollen Aufmerksamkeit auf Heutiges, auf das alltägliche Chaos in ihrer Realität lenken und wagen den "Versuch, die Gravitation zu überwinden", wie in einer ihrer Performances... Sie reflektieren in der künstlerischen Arbeit ihre gesellschaftliche Realität, die geprägt ist von dem tiefen Wandel aller Lebensbereiche seit dem Zerfall des Sowjetimperiums, wo nichts mehr ist wie es mal war, wo sich nichts sicher hinüber retten lassen will.

Vieles ist über die rapide Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Rußland und den damit zusammenhängenden sozialen Problemen in der Presse geschrieben worden. Über die Lage der Kultur wird weit weniger berichtet, und wenn, dann über die Zentren in Europa, wie Moskau oder St. Petersburg. Doch wie sieht es in der Provinz oder gar in Sibirien aus? Die ifa-Galerie Berlin wirft einen Blick hinter die "rauhen Berge", wie die Sibirier den Ural auch nennen...

Novosibirsk - in der Mitte Rußlands gelegen - ist mit 1,5 Mio. Einwohnern die größte Stadt Sibiriens und ist eines der größten Industrie- und Hochschulzentren Rußlands. Auch noch heute studieren mehr als 30.000 Studenten jährlich an den Hochschulen des nahegelegen Wissenschaftszentrums Akademgorod. Doch der allgemeine Verfall, der Verlust der Bedeutung Sibiriens für den europäischen Teil Rußlands ist deutlich spürbar. Spricht man von einem Sinken des Lebensstandards für etwa 80% der Russen, so kann man für Sibirien sicher noch einen dramatischeren Verlauf annehmen. Nicht nur, daß lockende Sonderzahlungen entfallen, die die Angestellten der staatlichen Betriebe erhielten und die die Bevölkerung in dieser unwirtlichen Gegend halten sollten, ist der Staat heute oft monatelang nicht in der Lage, überhaupt Löhne zu zahlen...

... Und so bestimmen die traditionellen Genres wie Malerei, Graphik und Plastik das Bild der bildenden Kunst in Novosibirsk, wenn auch durch die heutigen Möglichkeiten, sich frei der stilistischen Ausdrucksmittel bedienen zu knnen, die künstlerischen Mittel erweitert und innerhalb des Genres entwickelt werden. Vor allem die älteren Künstler und Künstlerinnen bleiben sich treu und schaffen ihre Werke in dem schon vor Jahren eingeschlagenen Weg, darunter so hervorragende Künstler wie Viktor Bucharow, Tamara Gritzuk, Alexander Schuritz, Jury Tretjakow, Nikolai Schukow, Wladimir Fateev, Wladimir Martynow um nur einige zu nennen. Wiederum gibt es nur wenige und dann vor allem junge Künstler, die sich aus diesem Umfeld bewußt zu lsen versuchen, sich Aktionen, Performances und neuer Medien bedienen oder konzeptuelle Ansätze verfolgen. Zu den "Stars" dieser kleinen Szene zählen Wjacheslaw Mizin und Dimitry Bulnygin, die 1997 in Berlin im Tacheles ein Ausstellungsprojekt realisiert haben. Sehr schnell haben sie Kontakte nach Jekaterinenburg, St. Petersburg und der Schweiz geknüpft, um mit anderen Künstlern zusammenzuarbeiten...

Konstantin Skotnikow stellt mit seiner Kunst systematische Untersuchungen an. Sein Werk ist auf eigentümliche Weise forschend, erforschend. Die "Reise in die innere Landschaft" ist eine virtuelle, gedankliche Reise. Er, der sich als Schaffender auch Krispinus nennt, arbeitet mit dem Phänomen, daß meßbare und aufzeichenbare, emotionale und körperliche Reaktionen des Menschen in ihrer grafischen Darstellung in verblüffender Weise an Landschaften erinnern, daß sich Assoziationen von Bergen und Tälern, Himmel, Wiesen und Seen ergeben. Wie sehr unser Auge auch in eine Landschaft eindringt, so tastet der Blick sich doch immer an der Oberfläche entlang. Auch die Diagramme menschlicher Reaktionen sind immer nur das Sichtbarmachen von emotionalen oder körperlichen Reaktionen. So kombiniert Skotnikow die Diagramme und Aufnahmen mit Graphitfrottagen, die er wie ein Besessener überall, wo er geht und steht, abnimmt. Sie sind eine Art optisches Tagebuch. Die Plastizität der Darstellung, die auf den feinstrukturierten Blättern erscheint, ist verblüffend und so gewinnen wir der Oberfläche eine neue, tiefere Bedeutung ab. Alexander Skotnikow arbeitet mit großer Intensität und verfolgt ganz konsequent seinen Weg, auch wenn ihn oft Zweifel plagen. Da es niemanden in seiner Umgebung gibt, der vergleichbar arbeitet, fehlt ihm der geistige Austausch und die ästhetische Auseinandersetzung. Das macht ihn noch Rastloser.

Die Gruppe "Pandoktrina" vereint unterschiedlich arbeitenden Künstler, deren Gemeinsamkeit in ihrer politischen Zielsetzung besteht, in gesellschaftliche Prozesse eingreifen zu wollen. Sie treten gemeinsam auf, arbeiten aber nicht künstlerisch zusammen, wie es die "Kosmonauten" tun. Ihr Verhalten ist völlig neu und unerwartet für den dortigen Kulturbetrieb. Seit Jahrzehnten hat es keiner ungestraft gewagt, eigene politische Ziele zu formulieren und damit in gesellschaftliche Prozesse eingreifen zu wollen. Aber das ist die eigentliche Intention der Gruppe "Pandoktrina", deren Auftritte auf unterschiedliche Weise Interventionen in tradierte Gesellschaftsmuster sind, was Irritationen und schlieþlich auch Aggression auslöst. In einem ironischen Spiel mit dem gesellschaftlichen Konsens und üblichen Verhaltensmustern werden gesellschaftliche Strukturen plötzlich sichtbar und infrage gestellt und damit angegriffen. So spielten sie zur Ausstellungseröffnung ihrer Ausstellung, zu der sie keine originär eigenen Arbeiten zeigten, Ausstellungseröffnung, bauten kleine Irritationen ein, die aber vom Publikum und der Presse nicht bemerkt wurden, wie z.B. die Präsentation eines echten, kleinen Velazquez - von Andrei Woronzow gemalt. Der Glaube an die Institution "Museum", an die Präsentation des "Richtigen, Wahren und Echten" in einer solchen Institution ist so groß, daß er es nicht zuläßt, Zweifel zu haben und Fragen zu stellen. Diese Entweihung, ja das Bloßstellen der Institution, der Presse und des Publikums durch die unerklärlichen Aktivitäten von "Pandoktrina", eben dieses Spiel mit der Realität rief aggressive Kritik hervor. Roman Watolkin, mit 20 Jahren noch Student und der Jüngste der Gruppe, tummelt sich virtuos mit kesser Leichtigkeit mit seiner Malerei im 19. Jahrhundert. Als er sein Bild "Das Mädchen mit den Pfirsichen" ausstellte, das mit nur wenigen Abweichungen eine Kopie des 1887 von V.A.Serow gemalten gleichnamigen Bildes ist, war die Kritik entrüstet. Das Original, das sich größter Popularität erfreut, ist eine Inkunabel der russischen Kunstgeschichte und gilt als ein wesentliches Werk, das eine neue Etappe der russischen Malerei einleitete. Watolkins ehrfurchtsloses Spiel mit den russischen Meistern des 19. Jahrhunderts, wie Ilja Repin oder den "Wanderern" regt das Publikum auf. Es verbindet damit einen Angriff auf russische Tugenden, auf russisches Kulturgut, wo es doch gelte, die russische Kultur zu stärken und identitätsstiftend wirken zu lassen. Hier greift Watolkin an und "schlachtet heilige Kühe" des russischen Nationalempfindens...

Alexander Woronzow, der Kopf der Gruppe "Pandoktrina" und Verfasser der Manifeste dieser Künstlervereinigung, sieht seine Aufgabe vor allem in dem Zusammenbringen der einzelnen künstlerischen Stimmen und Intentionen. Die Installation von Alexander Woronzow "Body-Painting-Show" geht auf eine Aktion zurück, die im vergangenen Jahr in Novosibirsk stattfand. Es ist Teil seines künstlerischen Konzepts, mit derartigen publikumswirksamen und populären Mitteln zu arbeiten und Aufmerksamkeit zu erregen. In der Arbeit installiert er Relikte dieses Happenings zu einer altarähnliche Situation, die durch eine theatralische Beleuchtung eine zustzliche merkwürdige Mystifikation erfährt. Die Schüsseln mit Wasser lassen den Eindruck eines vollzogenen Reingungsrituals aufkommen. Doch es ist einfach Waschwasser, mit dem sich die Models die Farbe abgewaschen haben. Hier setzt die bewußt durch den Künstler provozierte Irritation ein und die ironische Brechung. Und wer sieht, daß der "Kaiser nackt" ist, hat schon etwas verstanden - oder eben nicht.

Wladimir Kolbins "Universelles Spiel" ist eines von Präsenz und Abwesenheit. Zeichen und Objekte werden von den Akteuren in ein Beziehungsgefüge gebracht, aus dem heraus sich immer wieder neue Bedeutungen ergeben. Die Beziehungen sind während des Spiels ständiger Veränderung unterworfen, was darauf zielt, daß nichts ohne Bedeutung ist, alles in einem bestimmten Kontext geschieht und es sich um ein sensibles Gefüge handelt. Sein "Universelles Spiel" ist spielbar aber - dem Leben gleich - nicht ausstellbar, weil es, nur wenn es gespielt wird, einen Sinn hat.

Andrei Woronzow ist mit 35 Jahren der älteste und zugleich sarkastischste Künstler der Gruppe "Pandoktrina". Seine Arbeiten sind ebenso lapidar wie hintersinnig: "... man kann sich nicht an einem Luftballon erhngen.", stellt er fest und provoziert mit seinem Objekt gerade diese Assoziation. Seine Arbeiten sind zynisch und bitter und in ihrer Ausweglosigkeit entlarvend. Die Demokratie kommt mit absolutistischem Anspruch daher, es ist eben nur eine Frage, wer es schafft, sich auf das Pferd zu setzten. Andrei Woronzow , der als traditioneller Maler sein Handwerk beherrscht, nutzt es auch in Installationen und konzeptuellen Arbeiten mit beeindruckender Brillianz. Sie spiegeln ungeschminkt die Absurdität des Lebens, das nicht immer nur mit Ironie zu meistern ist.

Alle hier vorgestellten Künstler reagieren auf die Paradoxie ihres Alltags mit scheinbar absurden Aktionen und künstlerischen Ideen. Doch sie sind - vergegenwärtigt man sich die Widersprüche, mit denen sie täglich konfrontiert werden - so absurd nicht. Sie sind Reflexionen auf gesellschaftliche Realität in einer Zeit des Umbruchs und des totalen Wandels, nicht nur Rußlands, sondern des Kräfteverhältnisses in der Welt.

 

 

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