german galleries / index cities / index galleries / index artists / index Nürnberg


Neues Museum

Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
Luitpoldstraße 5
90402 Nürnberg
Telefon +49-911- 240 2020
http://www.nmn.de
aktuelle Ausstellung / current exhibition
vorausgegangene Ausstellung / previous exhibition

 

 

Kunst auf der Zugspitze

11.7. - 3.10.1999


Rémy Zaugg

Sieben Stehpulte

 

 

 

 

Was der Besucher dieser Ausstellung als erstes sieht, sind Texte - einen immer gleichen Text auf fünfzehn gleich großen und bunten Bildern an der Wand: SCHAU, ICH BIN BLIND, SCHAU, und sieben verschiedene Wortgruppen in deutscher, englischer und japanischer Sprache, aus Edelstahl ausgeschnitten und eingelegt in die Oberseiten pultförmiger Betonskulpturen: SEHE DICH JETZT - EYE I - HIER DU - ICH VOR DIR - JETZT DIES HIER (auf Japanisch) - HERE NOW - JETZT DIES HIER (auf Deutsch). Aber dennoch handelt es sich um die Ausstellung eines Malers. Unsere europäische Kunst hat sich traditionell in Gattungen entwickelt, Zeichnung als Zeichnung, Malerei als Malerei, Skulptur als Skulptur. Vor diesem Hintergrund versteht sich Remy Zaugg ausdrücklich als Maler, das heißt als einen Künstler, dessen Arbeit sich aus der Geschichte der abendländischen Malerei ableitet und deren Logik folgt. Für den Betrachter ergibt sich daraus, daß etwas, das sich auf die historische Logik der Malerei beruft, keineswegs so aussehen muß wie das, was er selbst als Malerei zu bezeichnen gewohnt ist. Immerhin, die fünfzehn Bilder sind mit Farbe bedeckte Tafeln und hängen an der Wand, aber die Tafeln sind aus Blech, die Farbe ist von Spezialisten in einer Lackiererei in Spritz- und Siebdrucktechnik aufgetragen, und Bildgegenstand ist weder ein wiedererkennbares Motiv wie eine Landschaft noch eine expressive oder konkrete Komposition, sondern eine Typografie. Das Bild sieht aus wie ein Hinweisschild,und der Text hat den Charakter einer Aufforderung, die dem Betrachter, der sehr wohl vieles sieht, eher paradox erscheint. Aber die Pulte, die der Künstler in dieser Ausstellung vor den grandiosen Ausblick auf die Landschaft gestellt hat, erinnern vielleicht an die Orientierungstafeln an Aussichtspunkten im Hochgebirge, die dem Wanderer das Bergpanorama erklären, aber sicherlich nicht an gemalte Bilder. Dennoch gehen auch sie auf Zauggs Arbeit als Maler zurück.

Der 1943 geborene Schweizer Rémy Zaugg ist ein Künstler der Moderne, der sich in allem, was er tut, auf die Logik der Geschichte beruft. Das Lieblingszitat der Postmoderne, Francis Picabias Aussage, der Kopf des Menschen sei deshalb rund, damit die Gedanken darin immer ihre Richtung ändern könnten, ist ausdrücklich nicht seine Devise. Zaugg legt Wert darauf, daß seine Gedanken nicht flanieren, sondern auf geradem Weg dieFolgerichtigkeit geschichtlicher Entwicklungen aufdecken. Dazu gehört es auch, daß alles, was der Künstler tut, begrifflich faßbar sein muß. Unter diesen Voraussetzungen begann Zaugg in den sechziger Jahren zu malen. Sein großes Vorbild war Paul Cézanne.

Natürlich mußte sein Versuch, in der künstlerischen Praxis der Malerei Fuß zu fassen und zugleich, sich und der Geschichte bewußt zu machen, was in dieser Praxis geschah, zu einer großen Frage führen. Dem modernen Künstler ist es angesichts der Übermacht dessen, was in der Kunstgeschichte bereits geleistet wurde, nicht möglich, frisch drauf los zu malen. Er muß erst begrifflichen Boden unter die Füße bekommen. Am Ende vertiefte sich der Maler Zaugg in ein einzelnes Gemälde von Paul Cézanne und unternahm es, in einem aufwendigen analytischen Verfahren der Cézanne'schen Bildschöpfung auf die Spur zu kommen und deren Elemente begrifflich zu fassen, nicht nach einer bestimmten Systematik, aber auf umfassende Weise. Das Bild wurde gewissermaßen 'kopiert', indem Zaugg seine Beobachtungen in Diagramme eintrug, die in ihrer Proportion dem Bild entsprachen, und zwar immer dort, wo diese Beobachtungen in der Bildfläche stattgefunden hatten. Der konzeptuell denkende und geschichtsbewußte Künstler der sechziger Jahre näherte sich dem historischen Vorbild auf der Ebene des analytischen Denkers, der die Phänomene auf den Begriff bringen will. Er verschaffte sich eine begriffliche Stütze, indem er die als Modell gewählte künstlerische Position Cezannes einer umfassenden Analyse unterzog und daraus die Kategorien für seine weitere Arbeit ableitete.

Seitdem sind Zauggs Bilder Werke über die verschiedenen Aspekte des Malens und Werke über das Thema der Wahrnehmung. In seinen Bildern erscheinen Texte in einer überaus strengen und wohlgestalteten Typografie und sprechen von dem, was im Bild, zwischen dem Bild und seinem Motiv, zwischen dem Betrachter und dem Motiv und zwischen dem Betrachter und dem Werk geschieht. Und immer wieder verlassen diese Reflexionen das eigentliche Tafelbild und dehnen sich in den architektonischen Raum aus. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe architekturbezogener Werke von Rémy Zaugg im öffentlichen Raum.

Auf der Zugspitze ist Rémy Zaugg der erste Künstler, der das beherrschende Thema dieses Ortes, die Begegnung des einzelnen Besuchers mit der überwältigenden Alpenlandschaft, nicht nur berührt, sondern direkt thematisiert. Neben einer Reihe von fünfzehn Bildern aus seiner 1997 begonnenen Folge Über die Blindheit, die in ihren oft scharfen Farbkontrasten das Auge verwirren und mit ihrer Aussage zugleich jegliche Sehfähigkeit in Frage stellen, hat er für den Ausstellungsraum auf der Zugspitze sieben Pulte aus Beton herstellen und diese so aufstellen lassen, daß der Betrachter der Außenwelt zugewandt stehen muß - dem oberbayerischen Voralpenland im Norden, dem Gipfelfelsen der Zugspitze mit seinem goldenen Gipfelkreuz im Nordosten und den Tiroler Alpen im Osten. Die verschiedenen Worte auf diesen Pulten sind Aussagen über zeitliche, örtliche und dialogische Aspekte dieser Situation. Sie benennen die Position des Betrachters und seines Gegenübers hier und jetzt.

Lucius Grisebach

 

Rémy Zaugg

Geboren 1943 in Courgenay im französischsprachigen Teil des Schweizer Jura. Lebt in Basel.

 

 

german galleriesindex citiesindex galleriesindex artists